2:22 – A Ghost Story im Noël Coward Theatre

Was für ein Stück! Idealer hätte mein Theater Comeback nicht laufen können. Die Pandemie hatte uns alle im Griff und ich werde sicherlich nicht die einzige sein, die seit fast zwei Jahren nicht mehr in genuss eines Theaterbesuchs gekommen ist. Und um Haaresbreite wäre das auch noch eine ganze Weile so geblieben. Das Universum meint es im Augenblick aber besonders gut mit mir (dazu kommt in den nächsten Tagen sicherlich noch ein Post unter „Ankündigungen„) und so begab es sich Anfang Oktober, dass ich relativ ziellos durch die schönste Stadt der Theaterwelt schlenderte. Mein Termin war erfolgreich beendet und mein guter Freund wurde im Büro aufgehalten. Unsere Abendpläne waren also gestorben. Zunächst war ich natürlich enttäuscht, ich hatte mich auf phänomenales Dinner gefreut. Dann haben mich meine Füße aber ins West End getragen (wie verwunderlich) und während ich noch dachte, dass ein spontaner Theaterbesuch jetzt irgendwie schon richtig cool wäre, fiel mein Blick auf das Plakat im Eingang des Noël Coward Theatres. Hadley Fraser. Oh. Mein. Gott! Wer den Blog schon eine Weile verfolgt weiß, dass einer der schönsten Tage in meinem Leben mit dem Beusch der 15th Annual Whats On Stage Awards und einem Foto mit dem Mann persönlich endete. Jap, I am that crazy. Könnt ihr es mir also verübeln, dass ich spontan um 17:30 Uhr das letzte verdammte Ticket in Reihe 4 für £85 gekauft und nicht einmal zwei Stunden später im Theater saß OHNE DAS STÜCK VORHER ZU GOOGELN?! Ja, ich auch nicht. Genützt hätte es auch nicht viel, denn die Informationen über 2:22 – A Ghost Story sind recht dünn.

2:22 – A Ghost Story Trailer

Auch wenn das Stück leider nur bis zum 16.10.2021 zu sehen war, möchte ich es ebenfalls dabei belassen, euch nicht zu viel über den Plot zu verraten. Ganz in der Hoffnung, dass 2:22 – A Ghost Story seinen Weg zurück auf die Bühnen des Landes findet und ihr in den Genuss kommen werdet, dieses unfassbare Werk selbst zu erleben. Denn tatsächlich hätte mich das bisschen, was ich hätte lesen können, auch nicht auf diese Erfahrung vorbereiten können.

2:22 – A Ghost Story nimmt euch mit zu einem Abend, an dem Lauren (Julia Chan) und Ben (Jake Wood) entspannt das neue Haus von Jenny (Lilly Allen) und Sam (Hadley Fraser) bewundern und ganz nebenbei endlich mal wieder gemütlich zusammensitzen wollen. Gemütlich bleibt es allerdings nicht lange, denn Lauren ist sehr angespannt und rückt irgendwann mit der Sprache heraus. Sie glaubt, es spuke in ihrem neuen Heim. Sofort prallen Glaubenssätze aufeinander und der Rest des Abends wird mit der Frage verbracht: gibt es wirklich Geister?

Kurz bevor das Abendessen eskaliert
Quelle: 222aghoststory.com

Ja, gut… Eine Story, die irgendwie banal klingt. Aber warum bin ich dann so begeistert? Beginnen wir bei der Atmosphäre, die durch Creative Crew rund um Regisseur Matthew Dunster erzeugt wurde. Die Lichtsetzung und das Sounddesign tragen ganz subtil dazu bei, dass man sich ganz in der Situation verlieren kann. Ich kann euch sagen, dass mein kleines Herz zwischendurch ganz schön gepocht hat und Menschen neben mir sich so erschrocken haben, dass sie schreien mussten. Gänsehautfaktor 100! Ich habe absolut mitgefiebert, während sich die Story immer weiter entfaltete und man in die vielschichtigen Themen hineingezogen wurde. I was engaged! Keine Ahnung, wie ich das auf Deutsch beschreiben soll. Meine Aufmerksamkeit war lange nicht mehr so gefesselt von etwas. Am Ende habe ich geweint. Jupp, so richtig kleine Krokodilstränen habe ich vergossen. Unfassbar.

Lilly Allen als Jenny
Quelle: 222aghoststory.com

Lilly Allen hatte ich ehrlicherweise nicht als Schauspielerin auf dem Schirm, aber ihre Jenny war wundervoll. Viele kleine Nuancen in Mimik und Gestik, die sich im Verlauf des Stückes geändert haben, haben mich dazu veranlasst vollkommen mit ihr zu fühlen, sie zwischendurch für verrückt zu erklären und der Geistergeschichte wirklich auf den Grund gehen zu wollen. Hadley Fraser ist so sehr in Sam – einem Astronom der für alles eine Erklärung hat – aufgegangen, dass ich ihn zwischendurch für seine Großkotzigkeit schubsen wollte. Was für ein arroganter Arsch. Wir hassen ihn – zumindest kurzfristig. Sieht der nicht, wie sehr seine Frau unter der Situation leidet? Und sieht eigentlich niemand außer mir, wie hoffnungslos verliebt Lauren in Sam ist? Vermutlich schon, aber man muss Julia Chan wirklich credit dafür geben, wie subtil sie das durchscheinen hat lassen. Es sind die kleinen Dinge. Sie versucht zunächst noch Vermittlerin zu sein zwischen der Sicht und Erfahrung von Jenny und dem wissenschaftlichen Ansatz von Sam und Chan spielt den Konflikt, den sie seit Jahren in sich trägt und irgendwie an diesem Abend seinen Höhepunkt zu erreichen scheint so überzeugend, dass ich sie in den Arm nehmen möchte.Und dann ist da ja auch noch Ben, der neue Partner von Lauren. Puh, ich muss euch ehrlich sagen, ich wusste in der ganzen ersten Hälfte nicht so richtig, was ich von ihm halten sollte. Jake Wood hat den Mann, der sein Geld mit der Gestaltung von Badezimmern verdient und ganz zufällig Sohn eines Mediums ist irgendwo zwischen faszinierend und abstoßend gespielt. Ich kann gar nicht sagen, ob ich öfter gelacht oder die Nase gerümpft habe. Die Energie, der Wood dabei allerdings an den Tag legt, sucht ihresgleichen.

Der Konflikt spitzt sich zu.
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Energie ist ein gutes Stichwort, denn an der mangelt es im gesamten Stück absolut nicht. Die Chemie der Charaktere ist beeindruckend und während ich quasi am Rande meines Stuhls saß, konnte man die Spannung in der Luft fast greifen. Kein Wunder, dass mir die nette Dame auf dem Platz neben mir zwischendurch Schokolade für die Nerven anbot. Selten habe ich ein Theater mit so wenig Geräuschkulisse verlassen, wie an diesem Abend. Ich würde so gerne so viel mehr schreiben, aber ich fürchte, das kann ich nicht, ohne mehr Kontext zu geben. Und das kann ich auf keinen Fall. Es tut mir also sehr Leid, aber ihr werdet 2:22 – A Ghost Story leider eines Tages sehen müssen. Und mir dann verraten, ob es für euch auch eines der grandiosesten Stücke der jüngeren Vergangenheit war. Und wenn ihr es tatsächlich zufällig schon gesehen habt, lasst mich wissen, was ihr davon haltet!

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