The Crucible – Arthur Miller im National Theatre London

‚Please take your seats in the Olivier Theatre. Tonight’s performance of “The Crucible” will begin in three minutes…‘ Als ich nach so vielen Jahren das Olivier Theater wieder betrete empfängt mich eine Geräuschkulisse die anders ist als sonst. Das mir so gut bekannte gemurmel im Saal, das mich immer mit noch ein bisschen mehr Vorfreude erfüllt wird durch ein rauschen begleitet, das ich zuerst nicht richtig zuordnen kann. Erst als ich komplett durch die Tür trete und einen freien Blick entauf die Bühen habe, erkenne ich die Quelle: Ein riesiger Vorhang aus Wasser nimmt die Stelle ein, an der sich nur wenige Minuten später die intensiven und teils verstörenden Szenen des düsteren Arthur Miller Stückes abspielen werden. Ach, National Theatre… Du hast es mal wieder geschafft, mich schon vor Beginn eines Stückes zu beeindrucken.

Photo Credit: Johan Persson

Wir nehmen Platz und werden sofort in die Welt der Hexenprozesse von Salem aus den Jahren 1692/1693 gezogen. Wir erleben Hautnah, wie aus einem harmlosen Streich ein handfestes Drama entwickelt, dem am Ende 20 Menschen zum Opfer gefallen sein werden. Aber wie konnte es dazu kommen? Alles beginnt, als der Pfarrer des Dorfes Salem – Samuel Parris (Nick Fletcher) – eine Gruppe von Mädchen beim Tanzen im Wald erwischt. Als einige der Mädchen kurz darauf unerklärlich erkranken und der Pfarrer seinen Kollegen Reverend Hale (Fisayo Akinade, hervorragend gespielt) um Hilfe bittet, breitet sich in dem kleinen Dorf schnell eine merkwürdige Dynamik und Hexenglaube aus. Der Hexenhype wird vor allem durch Abigail Williams (Erin Doherty), der Nichte des Pfarrers, vorangetrieben. Im Verlauf der Geschichte erfahren wir, das ihr Motiv wohl die unerwiederte Liebe zu John Proctor (gespielt von Brendan Cowell), dem tragischen Helden der Geschichte, gewesen ist. Dieser hatte sich Abigail während einer Zeit der schweren Krankheit seiner Frau zugwendet, die Affäre aber mittlerweile beendet. Es wird deutlich, dass Abigail in erster Linie die Ehefrau ihres ehemaligen Geliebten aus dem Weg räumen möchte und dabei buchstäblich über Leichen geht. Tiefer und Tiefer werden die Betrachtenden in die Untiefen der Verflechtungen in Salem gezogen und erleben mit, wie eine verhältnismässig kleine Gruppe an Mädchen das ganze Dorf in Unheil stürzt.

Photo Credit: Johan Persson

Regisseurin Lindsay Turner hat in dieser Produktion eine atemberaubende Athmosphäre geschaffen. Das minimalistische Setdesign von Es Devlin unterstüzt die Story und lässt uns tief genug in die Illusion abtauchen, ohne vom Spiel der Charaktere abzulenken. Ein paar Stühle hier, ein spartanische Bett dort und man ist direkt in Salem angekommen. Unterstützt wird das Set hervorragend durch das gut gesetzte Licht von Tim Lutkin. Besonders gegen Ende des ersten Aktes gibt es einen Gänsehautmoment be idem die Mädchen von Salem unheilvoll hinter der Bühne stehen und sich nur geisterhaft abzuheben scheinen. Es war schaurig-schön und ein bisschen verstörend.

Getragen wird dieses alles andere als leichte Stück vor allem durch die Intensität Brendan Cowells, der seinen Helden nachdrücklich durch die verschiedenen Herausforderungen steuert, die die Handlung ihm entgegen wirft. John Proctor glaubt nicht an Hexen. Er ist ohnehin nicht der religiöseste Mensch und versucht die Dorfgemeinschaft von Angang an davon zu überzeugen, dass es eine natürliche Erklärung für den Zustand der Kinder geben muss. Es wird deutlich, dass er die Affäre mit Abigail inständig bereut und sich vollends seiner Frau Elisabeth (Eileen Walsh) zugewendet hat. Diese lässt ihn zwar noch deutlich spüren, dass sie ihm nicht vergeben hat, jedoch lässt John nichts unversucht ihre Unschuld zu beweisen, als sie schliesslich der Hexerei bezichtigt wird. Ich Weiss, ich habe das Wort jetzt schon häufiger benutzt, aber seine Intensität hat mich unglaublich beeindruckt und komplett eingenommen. Auch Erin Doherty hat einen hervorragenden Job geleistet. Ich habe Abigail von der Sekunde an verabscheut, als sie das erste Mal gesprochen hat. Man kann förmlich spüren, wie sies ich nach John verzehrt und nach dessen harscher Zurückweisung kälter und kälter wird. Zuerst dachte ich, dass sie durch ihre Geschichten lediglich verhindern will, dass sie und ihre Freundinnen für ihre Tänze im Wald ausgepeitscht werden. Doch es dauert nicht lange, bis sie ihn wahres Gesicht offenbart. Und das macht sie ganz grossartig. Es fällt einem wirklich leicht, diese Person abstossend zu finden. Ausser diesen beiden finde ich auch das Spiel von Fisayo Akinade erwehnenswert. Ihm fällt die Rolle des Reverend Hale zu, der pflichtergeben die Rechtschaffenheit und vor allem Christlichkeit der Bewohner von Salem unter die Lupe nimmt. Ganz klar sagt er von Beginn an, dass Ruhe zu bewahren und erst einmal nicht von Hexerei auszugehen ist. Er erbittet auch, dass die Menschen ihm Vertrauen und keine weiteren Schritte unternehmen sollen, sofern er keine Hexenmale oder andere Anzeichen des Teufelswerkes fände. Schade, dass die Dynamik im Dorf eine andere ist und er zunehmend machtlos wird. Seine Entwicklung ist nicht so stark wie die von Proctor, aber es ist spannend zu sehen wie er mehr und mehr zweifelt und letztendlich vergebens versucht das einberufene Gericht zum Einlenken zu bewegen nur um zusehen zu müssen, wie der Fanatismus die Überhand gewinnt.

Am Ende sitze ich kopfschüttelnd noch eine weile auf meinem Platz. Es ist nicht nur die Energie des Stückes und das Zusammenspiel der Charaktere, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass dieses Stück aus den 50ern noch immer zeitgemäss ist. Wir haben in der Pandemie erlebt, wie schnell sich kleine Gruppen lautstark erheben können. Wir sehen im täglichen politischen Geschehen, wie die Angst vor “dem Fremden” (egal ob Person oder Sache) dazu führt, dass Rechtspopulisten in Regierungen gewählt werden. Und das in einem Land wie Schweden! Entsetzt und erschüttert verlasse ich das Olivier Theater. Nächste Woche gehe ich zu Peeky Blinders und hoffe, dass ich bis dahin die Beklemmung abgeschüttelt habe, die The Crucible hinterlassen hat.

Zu sehen ist The Crucible noch bis zum 25. November 2022 und Tickets gibt es über die Webseite des National Theatre. Berichtet gerne in den Kommentaren, ob ihr euch das Stück ansehen würdet oder wie eure Erfahrungen aus der Vergangenehit waren. Ich freue mich darauf, von euch zu lesen.

Bis dahin verbleibe ich,

Euer Theatergeist

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